Der Grund warum Autoren ihre eigenen Texte sich selbst vorlesen sollten

“The first draft is just you telling yourself the story— – Terry Pratchett

 

Jedes Mal, wenn ich eine Geschichte zu Ende geschrieben habe, atme ich erleichtert auf. Fertig! Doch dieser glückliche Zustand hält nur wenige Augenblicke, denn ab diesem Zeitpunkt heißt es korrigieren, umformulieren und kontrollieren. Das sind so ziemlich die nervigsten Arbeiten an einem Text, aber auch die wichtigsten, wenn man eine tolle Erzählung abliefern will.

Tatsächlich finde ich die meisten Fehler in einem Text, wenn ich ihn mir selbst vorlese und nicht nur das, plötzlich fallen mir noch viele andere Dinge auf, die beim einfachen, also stillem Lesen am Monitor gar nicht ins Auge stechen. Entweder das Gehirn spielt mir einen Streich oder aber – und das ist wohl der Punkt – lesen wir still anders, als wenn wir vorlesen.

Warum Vorlesen eine gute Methode ist, um Fehler aus Geschichten zu picken, möchte ich hier kurz erklären.

 

Die Korrekturen – erster Durchgang

Klar, zuerst lässt man ein Korrekturprogramm über die Seiten laufen und freut sich, wenn z.B. Word schon einiges an Tipp- und Grammatikfehlern findet. Aus Erfahrung weiß man aber, wann und an welchen Stellen jede automatische Korrektur versagt. Ab diesem Zeitpunkt heißt es selbst das Geschriebene zu korrigieren und man tut gut daran, bevor man es ins Lektorat gibt. Zum einen erspart man sich so manche Peinlichkeit, zum anderen gibt es Lektoren, die bei einem bereits gut korrigierten Manuskript einen kleinen Preisnachlass gewähren.

 

Was Korrekturprogramm nicht leisten können

Es gibt bisher kein Korrekturprogramm, das uns Autoren inhaltliche oder logische Fehler anzeigt. Es wäre auch schon sehr erstaunlich, wenn ein Schreibprogramm melden würde „Hey, das Auto des Gangsters war drei Seiten zuvor aber dunkelblau metallic und nicht silber!“, wobei das eine echte Hilfe wäre.

Solche Dinge findet man nur, indem man die eigene Arbeit aufmerksam liest. Hinzu kommen Zeitfehler, unterschiedliche Schreibweisen bei den Namen der Charaktere (bei ausgedachten Namen ist das besonders tückisch), Wortwiederholungen und stilistische Fehler. Hier hilft nur Ausdauer und Fleiß, um den Text zu verbessern. Bei dem ersten Lesen stolpert man automatisch über viele Fehler, die Word oder ein anderes Programm nicht erkannt haben. Bei diesem Arbeitsgang fallen einem auch fehlende oder schlecht gesetzte Absätze auf. Diese Korrekturen sind ausgesprochen wertvoll, wenn man sie vor dem Lektorat macht. So gibt man auch dem Lektor eine bessere Chance, das Manuskript so zu verstehen, wie es gedacht war. Ein unnötiger Absatz kann an einer wichtigen Stelle nicht nur irritieren, sondern auch zu einer Fehlinterpretation führen, die wieder zu einem Korrekturvorschlag, der gar nicht notwendig ist. Ihr erkennt den Rattenschwanz.

Wer aber glaubt, mit dieser Art 99% der Fehler in seinem Text zu erwischen, erlebt oft eine Überraschung, wenn er diesen Text sich selbst einmal laut vorliest. Dabei passieren nämlich lustige Sachen.

Und wenn wir mal ganz ehrlich sind: Wir wollen die Texte auch schnellstmöglich aus dem Lektorat zurückbekommen, um zu sehen, was noch alles zu tun ist.

 

Das Vorlesen – oft mit Holla!-Effekt

Wer sich genügend Zeit für Korrekturen nimmt und/oder nehmen kann, sollte einfach mal den eigenen Text sich selbst laut vorlesen. Das geht sogar am Monitor sehr gut. Hierbei fallen einem plötzlich ganz andere Dinge auf:

  • Sätze, die im Gedanken kein Problem sind und Sinn machen, lassen sich gar nicht flüssig vorlesen.
  • Es kann sehr gut passieren, dass man was ganz anderes vorliest, als im Text geschrieben steht, weil es einfach besser passt, sich flüssiger liest oder ein anderes Wort die Situation wesentlich genauer beschreibt.
  • Man bleibt an Stellen hängen, weil die Satzstellung sich im eigenen Ohr seltsam anhört oder mehrere Sätze in einer falschen Reihenfolge stehen.
  • In Dialogen kann einem auffallen, dass man nur schwer unterscheiden kann, wer gerade was gesagt hat.
  • Zu lange Sätze kommen beim Vorlesen so richtig zur Geltung. Unnötige Textschnipsel ebenfalls.
  • Hier und da fehlt einem ein Wort oder sogar mehrere.
  • Absätze machen plötzlich keinen oder erst recht Sinn.

 

Der große Vorteil nebenbei

Eine Geschichte zum Leben erwecken, ist die Kunst, sie richtig vorzutragen. Spätestens wenn man vor Publikum liest. Wer bereits einige Lesungen besucht hat, weiß, welchen Unterschied dies macht. Wenn der Vortragende den Text kennt, ihn gut vorbereitet hat und genau weiß, welche Charaktere darin auftauchen, was sie sagen und fühlen, liest er nicht nur, er erzählt beinahe.

Hierzu hatte ich im vergangen Jahr mein AHA-Erlebnis als Zuhörer. Bei einer Veranstaltung fanden zwei Lesungen nacheinander statt. Das Pech des zweiten Vortragenden: sein „Vordermann“ war ein hervorragender Geschichtenerzähler und Vorleser. Der Unterschied war so gigantisch und durch die direkte Aufeinanderfolge der beiden ein direkter Vergleich für das Publikum. Ich brauche wohl nicht zu berichten, dass das zweite Buch wenig Interesse fand. Eigentlich sehr schade, denn inhaltlich waren beide Stücke gut.

Das Vorlesen ist somit auch eine gute Übung für die eigene Lesung. Man kann ausprobieren, wie Passagen wirken, ob kurze Sätze besser passen oder längere. Funktionieren Dialoge so wie man es sich vorgestellt hat und schafft man es die Spannung aufzubauen, die es an den richtigen Stellen bedarf?

Vorlesen ist anstrengend, das merkt jeder, wenn er die ersten zehn Seiten hinter sich gebracht hat. Der Mund wir langsam trocken und die Zunge macht merkwürdige Bewegungen. Mit der Zeit bemerkt man sogar, dass sich die eigene Atmung verändert. Jetzt denkt Euch noch das Lampenfieber bei einer Lesung dazu mit Schnappatmung, Schweißausbruch und Schluckauf. Schon hat man seine kleine, ganz persönliche Horrorvision einer Lesung vor Augen, in der man stottert, laut schluckt und bei jedem zweiten Satz stockt. Auch Mitbewohner können irgendwann mal genervt reagieren, wenn Ihr dreimal hintereinander die gleiche Passage lest, weil sie immer wieder umformuliert oder ergänzt wird, bis alles passt. Aber da muss man dann durch.

All dieser Aufwand lohnt sich. Probiert es einfach mal aus. Und dem Text und damit Euch und Eurer Arbeit schadet es garantiert nicht.

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