Die Alles ist möglich Lüge

Susanne Garsoffky, Britta Sembach

»Alles ist möglich«, das Versprechen an die Frauen von heute, ist eine Lüge. Familie und Beruf passen nicht zusammen, und das ist keine Frage der eigenen Organisation. Wer beides gleichzeitig leben will, zahlt einen Preis – und dieser Preis ist hoch für Eltern und Kinder.


In ihrem Buch über das Eltern- und Berufstätigsein zeigen die beiden Journalistinnen und Mütter, was in der heutigen Zeit in der Politik und Gesellschaft schiefläuft. Das Sachbuch haben sie in fünf Lügen unterteilt, die den Stellenwert der Arbeit in der Gesellschaft, die Organisation des Familienlebens, die Rolle des Mannes und Vaters, die Slogans der Politik und Irrtümer über andere Länder behandeln. Neben der Einleitung schließt das Buch mit dem Kapitel „Wie wir leben wollen“ ab, resümiert die Ausführungen.

Die Betrachtungen stellen überwiegend die Frau als arbeitende Mutter in den Vordergrund, berichten von den Ansprüchen an sich selbst und die Arbeitgeber, sie erzählen vom Gefüge in den Unternehmen und den Imagelügen der „familienfreundlichen“ Arbeitgeber oder der Firma als „große Familie“. Es geht um die Wichtigkeit der Arbeit, wie wir uns darüber definieren, wie die Mutterrolle abgewertet wird, und wie Frauen in die von der Politik geschaffenen Fallen von Teilzeit, Minijobs und falschen Betreuungsversprechen tappen.
Warum der Druck unter Kollegen, Anwesenheitspflichten im Büro und andere Verhalten von Vorgesetzten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf torpedieren sind ebenso Themen, aber auch die Ansprüche an uns selbst als Mutter und Vater.
Im Hinblick auf die Kinderbetreuung werden die Aspekte der Betreuungszeiten, der Wunsch der Frauen beim Kind zu bleiben und die Optionen für Männer angesprochen. Das Pflegen von Angehörigen wird am Rande gestreift, passt aber zum Themenkomplex und zielt auf die Wertschätzung von Betreuung und Carearbeit.

An vielen Stellen – und das ist sehr erfrischend – greifen die Autorinnen die gesellschaftlichen Bilder von Frauen auf, deren sich die Politik gerne bedient. Seien es die Berichte von Powerfrauen, Frauen auf dem Arbeitsmarkt, Slogan wie „Die Zukunft ist weiblich“ und die auch heute noch vorherrschende ungerechte Bezahlung und Beförderung von Frauen, die sich für Kinder entschieden haben.

Dieses Buch zeigt keine Lösungen auf, sondern Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Der vorherrschende Appell geht in Richtung eines Umdenkens der gesamten Gesellschaft im Umgang mit Familie und Carearbeit. Nicht immer muss man mit den Autorinnen, ihren Beschreibungen und Meinungen zur Kinderbetreuung oder der Rolle der Väter übereinstimmen, kann aber die Brisanz der aufgeführten Punkte nicht leugnen. Die mit Recherchen flankierten Texte betrachten den Zustand in der heutigen Gesellschaft. Denn obwohl das Werk sein Erscheinungsdatum in 2014 hat, sind 2022 diw Argumente und Ausführungen weiterhin aktuell. Ob dies erschreckend oder traurig ist, bleibt der Interpretation der Leserinnen und Leser überlassen.

Professionell geschrieben, gut strukturiert und facettenreich ist das Buch der Autorinnen Garsoffky, Britta Sembach.

Fazit: Ein Buchtipp für alle, die sich mit dem Thema Familie und Beruf auseinandersetzen wollen. Lesenswert!


Eigene Meinung

Nicht immer stimme ich mit den Ausführungen der Autorinnen überein, besonders bei den Themen der Kinderbetreuung der der Rolle des Mannes. Dennoch bin ich in großen Teilen bei den Argumenten und Ansichten der hier schreibenden Frauen.
Etwas auffällig ist, dass der Großteil der Ausführungen doch auf eine bestimmte – gut gebildete – Gesellschaftsschicht zielt und die Entwicklungen der Zeit etwas schlechter darstellt, als sie sind. Noch nie hatten Frauen so gute Chancen sich von Männern zu trennen, ohne dafür gebrandmarkt, verstoßen oder arm zu werden. Tatsächlich ist das Betreuungsangebot besser als in den 70er und 80er Jahren. Auch gibt es Männer, die ihre Rolle als Familienvater anders und neu definieren im Gegensatz zu ihren Väter, die meistens „nie da waren“.

Ob die Vergleiche mit Frankreich und Schweden nicht doch etwas verklärt sind, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Sehr gefallen haben mir in diesem Buch die Aussagen zur Fürsorge für Kinder, Eltern und andere Personen als unterschätzte Arbeit, die Abwertung von Müttern in der Arbeitswelt und die weiterhin Ungleichbehandlung der Frauen. Besonders an der Pflegebranche und in den Krankenhäusern sowie in den Kitas beobachten wir täglich, dass diese Tätigkeiten an Wertschätzung vermissen lassen, obwohl sie oft mit viel Anstrengung und Hingabe durchgeführt werden müssen.

Es ist nicht jeder Frau und jedem Mann Gott gegeben, dass sie gute Eltern sind. Das ist genauso okay wie anderes herum. Und hier beißt sich die Katze in den allseits bekannten Schwanz: In allen Lebensbereichen geht es um Toleranz und Respekt.

Fazit: Ein Buch, dass mich aufgewühlt und viel zum Nachdenken gebracht hat, egal ob ich gleicher Meinung war oder nicht. Top!


„…Ein Großteil der Mütter in Deutschland kümmert sich also gerne um seine Kinder, wenn diese klein sind – auch wenn Frauen dadurch berufliche Nachteile haben. Das bringt Politik und Wirtschaft schier um den Verstand…“

„…Haltung ist etwas, das kein Politiker vorschreiben, kein Gesetzgeber regeln, kein Gericht durchsetzen kann. Haltung ist etwas, das Vorgesetzte leben müssen…“

„…Oder hat schon einmal jemand erlebt, dass ein Mann gefragt wurde: Wie kriegst du das denn hin – die viele Arbeit und dann noch drei Kinder…?“

„…Während es in Frankreich kein Wort für „Rabenmutter“ gibt, ist der diffamierende Begriff der „Gluckenmutter (mère poule) weit verbreitet…“

„Im Job sind wir ersetzbar, für unsere Kinder aber unersetzlich. Nicht jede Mutter und jeder Vater muss das so empfinden.“

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