Covid-19 digitalisiert die Buchbranche – oder auch nicht
Nachdem Thomas Montasser am 27.03.2020 einen offenen Brief an amazon – schier interessiert das dort irgendjemanden, auch wenn er in vielen Punkten recht hat – geschrieben hatte, wird die Buchbranche in der Corona-Krise digital agil. So scheint es zumindest.
Nach bereits zwei Wochen versuchen die Händler und Verlage, jetzt, da sie weniger Bücher verkaufen, ihre IT-Projekte zu forcieren, weil die – Achtung, hier kommt die geniale Erkenntnis – auch ohne stationären Buchhandel Umsätze generieren bzw. könnten, wenn man die letzten 15 Jahre nicht beinahe vollständig verpennt hätte. Fast täglich erreichen den Leser Nachrichten über Services, Portale und Apps, die wahrscheinlich seit Monaten in Planung waren und ausgerechnet jetzt online gehen. Das nenne ich Timing!
Tatsächlich dachte ich, da kommt was Cooles, als ich über die “neuen Portale” shopdaheim.de und shopdaheim.at las. Hierzu erhielt ich auch den Newsletter von Thalia, der davon berichtete, dass die größten Branchen-Player den Handel und somit die Arbeitsplätze in unserer Region sichern wollen. Denn, so schreibt Thalia in seinem Newsletter weiter, “Jetzt ist die Zeit zusammenzuhalten, füreinander da zu sein, ein Zeichen zu setzen”
Gespannt klicke ich auf den Link und sehe einen hervorragend vermarkteten Witz aus wohlbekannten Häusern der Branche.
Aktionismus – und keiner merkt’s
Thalia, Mayersche und Osiander haben eine wundervolle gemeinsame Initiative gestartet: eine Website mit Landkarte inkl. Pins, trivialer Suche über Ort oder PLZ, die ein Linkliste der eingetragenen Händler inkl. ihrer Websites zur Weiterleitung anzeigt. Das war’s!
Federführend ist Thalia, wenn man das Impressum anschaut. Positiv ist, dass die Aufnahme der Händler kostenlos ist. Machen die da also wirklich aus Solidarität?
Und dann kommt es, wenn man den Artikel bei BuchMarkt aufmerksam fertigliest: Springer, Burda und Funke Mediengruppe konnten als Medienpartner gewonnen werden. Unter anderem für Kundenmailings und Social Media-Aktivitäten.
Von 9 Mio. Bruttokontakten ist zu lesen. Die allerdings kosten Gründer und die sich angeschlossenen Unternehmen eBuch, KNV Zeitfracht, Umbreit, Libri, Morawa, und buchmedia garantiert jede Menge Geld.
Nobel geht die Welt zugrunde!
Dass die sich eintragenden Einzelhändler für eine gute Sache spenden sollen, so ist ebenfalls im Artikel zu lesen, kommt nicht nur den Organisationen zugute. Diese arbeiten sehr wahrscheinlich mit denselben Medienpartnern wie die Buchbranche zusammen.
Und die Digitalisierung?
Mit der war es im Buchhandel wieder nix! Corona bringt keine Innovationen auf dem deutschen Buchmarkt hervor, sondern spielt durch Umsatzeinbrüche alten Strukturen in die Hände.
Aber vielleicht ist das gar nicht das Virus, sondern die Menschen dahinter, die noch immer nicht begriffen haben, dass die Zeit sie längst überholt hat.
amazon geht weiter seinen Weg.
Und dann staunt man doch,
wenn plötzlich ein weiterer Verlag mit der gleichen Idee auf der eigenen Website und fast zur gleichen Zeit um die Ecke kommt. Nämlich Carlsen. Die haben unter www.carlsen.de/buchhandlungen exakt den gleichen Service gelauncht wie die Initiative von Thalia und Co, und halt eben auf eigene Faust.
Und ich frage mich, wer hier von wem geklaut hat, und wem die Idee angeboten wurde, bevor das Fischlein angebissen hat.
Was ist jetzt mit der verdammten Digitalisierung?
Es wäre wünschenswert, wenn die Verlage UND Einzelhändler endlich anfangen würden, neue Wege zu gehen. Oft gibt es gute Ansätze, die aber weder ordentlich umgesetzt werden noch wird den Maßnahmen ausreichend Zeit gegeben, um profitabel zu werden.
Dass es für kleine Buchhandlungen schwierig ist, neben dem Tagesgeschäft auch online aktiv zu sein, ist nachvollziehbar. Von den großen der Branche erwartet man jedoch eine gewisse Vorreiterrolle, unternehmerischen Mut und Innovation.
Anscheinend ist meine Erwartungshaltung zu hoch.
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