Bilder deiner großen Liebe
Wolfgang Herrndorf
Ein Mädchen steht im Hof einer Anstalt. Das Tor geht auf, das Mädchen huscht hinaus und beginnt seine Reise, durch Wälder, Felder, Dörfer und an der Autobahn entlang. „Die Sterne wandern, und ich wandre auch.“ Isa heißt sie, und Isa wird den Menschen begegnen – freundlichen wie rätselhaften, schlechten wie traurigen. Einem Binnenschiffer, der vielleicht ein Bankräuber ist, einem toten Förster, einem Fernfahrer auf Abwegen. Und auf einer Müllhalde trifft sie zwei Vierzehnjährige, einer davon, der schüchterne Blonde, gefällt ihr…
Isa flüchtet aus der psychiatrischen Klinik. Ohne Schuhe, aber mit ihrem Tagebuch und zwei Tabletten, die sie eigentlich hätte nehmen sollen. Ohne konkretes Ziel läuft sie durch Deutschland, wobei sie eher die Felder und den Wald vorzieht, als die Städte. Auf ihrer wilden Reise, die nicht selten eine Flucht vor anderen Menschen, Supermarktdetektiven oder der Polizei ist, begegnet sie auch solchen, die sie ein Stück begleiten, zumeist real aber auch als Illusion, wie der taubstumme Junge, den sie fortschickt, nachdem sie ihm die traurige Geschichte über Treue erzählt hat. Unterbrochen wird die Reise von Rückblenden auf Isas Vergangenheit und Einsichten über das Leben sowie das Verrücktsein. Wobei man sich hier als Leser nie wirklich sicher sein kann, ob tatsächlich Isa die Verrückte ist oder nicht doch die Figuren, denen sie auf ihrer Reise begegnet. Lediglich auf den letzten 10 Seiten knüpft dieser unfertige Roman an TSCHICK an.
Dieser Roman entstand aus einem unfertigen Skript und Fragmenten sowie Notizen, die Herrndorf hinterlassen hat. Dies ist im Nachwort genau nachzulesen. Zu Lebzeiten hatte sich Herrndorf einen Koautor gewünscht, es hatte aber keiner den Mut gefunden, mit ihm zu arbeiten. Schade!
Es ist also verständlich, dass das Werk einige Zeitsprünge besitzt, es an einigen Stellen tatsächlich zu Widersprüchen kommt und der Verlauf der Erzählung nicht immer einen klaren Zusammenhang hat. Ob dies tatsächlich zum Protagonisten passt wie einige Kritiker behaupten, sei dahingestellt. Dennoch gelingt es Herrndorf auch dieses Mal ein Gefühl zu transportieren, selbst in kurzen Passagen. Hier wäre es wirklich interessant einmal die Notizen des Autors zu sehen. Ich glaube, sie würden an manchen Stellen einiges erklären.
Ob dieser unvollendete Roman nun ein gutes Stück Literatur ist, sollte jeder für sich entscheiden. Ein interessantes Experiment ist er auf jeden Fall und man sollte wie bereits bei Sand keine leichte Unterhaltung erwarten.
Eigene Meinung
Ich bin wirklich unschlüssig, was ich von diesem unfertigen Roman halten soll. Wenn ich ganz ehrlich bin, halte ich dieses Buch noch nicht einmal für einen Roman, sondern eher für eine Rohfassung eines solchen, eine bunte Ideensammlung mit Charakterskizzen der Hauptperson. Isa als Protagonistin ist nicht greifbar. Wer oder was ist sie? Die Attribute, die Herrndorf ihr gegeben hat, sind so schwammig, dass ich beim Lesen den Eindruck hatte, dass er selbst kein klares Bild dieser Figur vor Augen hatte. Gut, sie will kein Mädchen sein, wollte schon immer anders sein, weiß, dass sie anders ist, verrückt halt. Okay! Aber bereits da hört es auf, und das Ganze lässt großen Spielraum nach allen Seiten.
Keine Ahnung was Herrndorf in den letzten Monaten seiner Krankheit und seines Schaffens versucht hat, in diese Geschichte zu legen. Tatsächlich ist es ein Suchen nach Antworten, ein Versuch des sich selbst finden Wollens, Aufgreifen von vielen Themen, die zu schwer erscheinen und deswegen wieder fallen gelassen werden, Sex, Liebe und Depression. Einige Metaphern verarbeitet Herrndorf ebenfalls und irgendwie wurden all diese Komponenten in einem Romaneintopf verkocht. Der zugegeben gut schmeckt, aber man weiß halt nicht wonach.
Wenn ich die Rückseite des Buches betrachte und einige Rezensionen lese, dann muss ich doch eher den Skeptikern Recht geben, die in diesem Buch keine literarische Leistung sehen, sondern eher den Versuch auf Teufel komm raus ein letztes Buch zu veröffentlichen, ob nun seitens des Verlages oder des Autors, vielleicht sogar beider Seiten. Romantisch möchte ich das Buch nicht bezeichnen, vielleicht sehnsuchtsvoll und melancholisch.
Man hat sich sicherlich viel Mühe gegeben, etwas in Form zu bringen, was noch gar keine Form hatte und ggf. nie eine bekommen sollte. Dieses Buch als eine Sammlung von Textfragmenten und Ideen FÜR einen Roman lesen zu können, hätte wohl dem Verlag und dem Autor zu mehr Ruhm verholfen.
Und wie schon bei In Plüschgewittern und Sand kann man in Herrndorfs Werke mit einem ordentlichen Pegel an Alkohol und Drogen sehr viel hineininterpretieren und man findet sich sicherlich in einem Charakter wieder. Dies hat ihn ausgezeichnet und dafür mag ich seine Romane.
Gut, einigen Kritiker ist auch nicht zu helfen, wenn sie auf amazon fragen, was der Autor sich dabei gedacht hat und nach dem Bezug zum Titel fragen. Puh, ja. Diese Fragen kann man sich wohl bei jedem Buch stellen, da braucht es keinen unfertigen Romans.
- Wer sagt, dass der Titel immer einen Bezug zum Werk braucht?
- Wer diese Textteile aufmerksam gelesen hat, wird so viel Liebe zum Detail und zum Leben entdecken, dass es an manchen Stellen schon weh tut.
“So schön ist alles, wenn es schön ist, aber meistens ist es nur in meinem Kopf—
Â
“‘Heul nicht‘, sage ich. ‚Wenn du heulst, töte ich dich.‘ Er fängt sofort an zu heulen—
Â
“Und weiter durch die Nacht, weiter durch den Sarg aus Sternen, mich schwindelt, ich falle, der Körper fällt durch bodenlosen Nebel, ist schlafe—
Schreibe einen Kommentar