Freiheit und Verantwortung bei Publikationen
An diesem Wochenende habe ich auf Facebook die Diskussion in einer Gedichte-Gruppe verfolgt bzw. an ihr teilgenommen, die unglaublich komische Wendungen genommen hat, als es um die Themen künstlerische Freiheit und Verantwortung ging.
Ausgangssituation:
- Ein Mitglied stellt ein Gedicht ein, das zwar von der Aussage her gegen Rechtsextremismus ist, inhaltlich allerdings Formulierungen enthält, die klar rechtsextrem sind.
- Positive und negative Kommentare werden geschrieben.
- Gedicht wird gelöscht.
- Verfasser schreibt einen Beitrag in der Gruppe und fragt nach dem Grund der Löschung.
- Diskussion bricht aus.
Tatsächlich ging es zu Beginn der Diskussion mit dem Admin darum, warum das Gedicht gelöscht worden ist und was unter künstlerischer Freiheit zu verstehen sei. Viele sprachen sich für die Freiheit aus, dass die Kunst ein Instrument ist, kritische und unangenehme Themen anzusprechen und darzustellen. So argumentierte der Admin mit Gruppenfrieden und dass man vorsichtig sein müsse, mit dem was man schreibt und publiziert, besonders in den heutigen Zeiten. Auch war eins seiner Argumente der Erhalt der Gruppe, damit diese seitens Facebook nicht geschlossen würde. Verschiedene Mitglieder, darunter auch ich, sprachen sich dafür aus, dass das Gedicht zwar sehr provokant sei, aber eben nicht verherrlichend und damit kein Grund zur Löschung. Hier sei man wohl zu vorsichtig. Bis zu diesem Zeitpunkt lief die Diskussion sehr sachlich und respektvoll ab.
Im Laufe der Zeit erschienen Kommentare von Mitgliedern, die das Gedicht zwar nicht gelesen hatten, aber zu dem Thema Stellung bezogen und Texte mit angeblichen bzw. als rechtsextrem zu deutenden Inhalten grundsätzlich ablehnten und die Löschung gut hießen, mit dem Hinweis, dass man diesem Gedankengut, in welcher Form auch immer, keine Plattform geben solle.
Urteilen ohne Texte zu kennen
Es ist ein Phänomen in den sozialen Medien, dass Mitglieder von Gruppen plötzlich einen Standpunkt vertreten ohne Beiträge (Texte, Bilder oder Videos) gelesen bzw. gesehen zu haben. Dagegen spricht grundsätzlich nichts. Doch wie kann ich pro oder contra etwas argumentieren ohne den genauen Gegenstand der Diskussion zu kennen?
Es ist ein Hören-Sagen-Urteil. Hier ist was schief gelaufen, ein Beitrag war „böse“ also grundsätzlich raus damit. Dies tut man auch, um sich selbst zu positionieren und zu solidarisieren. Aber auf wessen Meinung verlässt man sich an dieser Stelle?
Wer entscheidet was in einer Gruppe
Mit den Schwerpunkten Kunst und Freiheit bewegte sich die Diskussion in die Richtung, wer wann entscheidet, welcher Beitrag gelöscht wird. Gut, man ist sich dahingehend einig, dass die Administratoren löschen und sie tun es oft erst dann (und das ist schon sehr liberal), wenn ein Beitrag gemeldet wird. Wobei es jedem Administrator freisteht zu beurteilen, was „oft“ genau bedeutet.
Trotzdem sollte man als Gruppenmitglied davon ausgehen, dass der Administrator zum Wohle der gesamten Gruppe handelt und nicht aus Willkür. In dieser Diskussion wurde nun davon ausgegangen, dass sich eher eine Minderheit von dem Beitrag gestört gefühlt hat, nicht die Mehrheit. Nachdem sich also sehr viele Mitglieder für die Freiheit in der Gruppe ausgesprochen hatten, wurde zwar das Gedicht nicht wieder online gestellt, der Autor durfte aber, nachdem er kurzzeitig der Gruppe verwiesen wurde, wieder in derselben seine Gedichte posten.
Was dann geschah
Nachdem der junge Mann sich seine Freiheit mit Unterstützung anderer Mitglieder erkämpft hatte, flutete er die Gruppe mit unzähligen Gedichten, die von vorneherein auf Provokation gemünzt waren. Zwar ließ er die rechtsextremen Themen sein, dafür folgten Texte über Leichenschändung, Kindsmord, Krieg und Brutalität.
Von vielen, die für ihn und die künstlerische Freiheit gekämpft hatten, wurde er mit „Likes“ überschüttet, man fand die Gedichte abartig aber gut.
Ich ließ es mir nicht nehmen, ihn in dem ersten Beitrag, als es um die Löschung ging, auf seine Verantwortung anzusprechen, die er zu tragen habe, wenn er solche Texte publiziere. Er entgegnete nur knapp, dass diese Diskussion nun beendet sei.
Kaum war also das Ziel erreicht, sich endlich in der Gruppe ausleben zu können, war es mit der Redefreiheit um das Thema geschehen. Er wollte nicht mehr. Plötzlich war es unbequem. Viel schöner war es nun, sich dem Ruhm und Glanz zuzuwenden. Kritik unerwünscht. Zur Rede stellen, wollte er sich nicht mehr. Nach weiteren Stunden wurde er von den Admins erneut und endgültig gelöscht. Zu Recht?
Wo Kunst aufhört und Bullshit beginnt
Bekanntlich liegt Kunst im Auge des Betrachters. Gerade das macht es so schwer, die Grenze zwischen künstlerischem Schaffen und absolutem Bullshit zu ziehen, vor allem dann, wenn es sich um Worte handelt, die bereits negativ belegt sind oder Bilder die Brutalität zeigen.
Wir sind uns bestimmt alle einig, dass Kunst dort aufhört, wo sie andere Personen in irgendeinem Punkt beleidigt oder verletzt. Wie aber muss ein Text verfasst sein, damit er zwar noch eine (provokante) Aussage, aber keine Beleidigung enthält, an der Leute Anstoß finden? Ist das dann die tatsächliche Kunst?
Freiheit und Verantwortung und was wir gerne vergessen
Wir leben in einem Land, in dem jeder sagen, schreiben und zeigen kann, was er will. Er muss keine Angst haben, dass er wegen einer politischen Meinung oder einem Ideal, einer Überzeugung sofort im Gefängnis landet, verschleppt und gefoltert wird. Er muss sich nicht fürchten, dass ihm und seiner Familie das Leben schwer gemacht wird oder gar unmöglich. Dies entbindet ihn aber nicht von der Verantwortung, die er trägt, für das was und wie er es sagt. Publiziert man provokante und umstrittene Texte, Bilder oder Videos muss man dafür gerade stehen und sich jeder Diskussion stellen, die aufkommt und ggf. damit rechnen, dass man an bestimmten Orten oder eben in Gruppen nicht mehr gerne gesehen wird.
Dennoch, diese Freiheit sollten wir schützen, wir sollten sie erhalten und sie uns immer wieder vor Augen führen. Wir sollten sie aber nicht dazu missbrauchen, das eigene Ego zu streichen ohne Rücksicht auf andere und/oder ihre Empfindungen. Freiheit bedeutet auch Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und das eigene Tun sollte von Respekt bestimmt sein. Sich selbst und anderen gegenüber.
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