Trolle am Rande der Vernunft oder wider Willen
Troll ich – troll ich nicht – troll ich?
Es ist so verlockend, nicht wahr? Schließlich nehmen wir doch gerne leichtgläubige Mitmenschen auf den Arm. Ein bisschen veräppeln ist witzig. Gut, jemanden so richtig verarschen macht noch viel mehr Spaß und jemanden absolut auf einen fremden Planeten zu schicken, ist reinste Gaudi.
Genau diese Gaudi machen sich Trolle im Internet. Das sind unsere netten Mitmenschen aus Foren und sozialen Netzwerken, die seltsame Kommentare abgeben, extreme Meinungen vertreten, etwas pöbeln, andere gerne als inkompetent oder dilettantisch beschimpfen und bei jedem Thema über spezielles Expertenwissen verfügen, das kein anderer hat.
Böse sind sie nicht (zumindest die wenigsten), nur gehässig und manchmal ausgesprochen gerissen. Es kann einem auch mal passieren, dass man durch die Verkettung unglücklicher Formulierungen oder gar unbedachter Äußerungen zum Troll wider Willen wird.
Folgendes spielte sich in einer Gruppe bei Facebook ab. Es fing wie immer sehr harmlos an:
Puh, denke ich und schaue das Bild an. Schwieriges Thema. Seltsames Foto. Passend? Ob das wohl ernst gemeint ist?
Das Bild zeigte eine leicht bekleidete Frau, die an einem Baumstamm gelehnt steht. Körper und Kleidung der Frau sind in der Textur des Baums, sprich Rinde. Sie hat die Augen geschlossen. Sehr sinnlich.
Hm, denke ich. So ein Bild für dieses Thema? Kaum war der Post abgeschickt, da kamen auch die ersten Kommentare:
Huch?! Ganz schön dreist die Autorin. Nun gut, jeder kann seine Meinung äußern. Von irgendetwas müssen Zeichner und Photographen auch leben, aber was soll’s. Freunde schafft man sich so nicht, aber vielleicht hat sie genug.
Ha, erwischt, denke ich noch. Die „M“ ist schlau und hat eine Ahnung. Dachte ich bei mir, doch da ploppte schon der nächste Kommentar von „S“ auf:
„..mehr für Erwachsene—?
“(entschuldige den Ausdruck)—?
“viel Kinderf***** dabei—?
Jetzt ist sie fällig! Das war’s. Dieser Ausdruck hat sie entlarvt. Mit erstaunten Augen muss ich den nächsten Kommentar lesen, der sich einen Scheiß darum kümmert, was das Thema des Buches sein soll oder was das letzte Kommentar bezüglich Inhalt war. Nein, man diskutiert fröhlich über Verlag und Bilder. Geht’s noch? Alle kollektiv in den Klugscheißer-Modus geschaltet. Alle im „Herr-Lehrer-ich-weiß-was“-Groove. Hirn liegt im Glas neben mir in Gin eingelegt?
Fassungsloses Blinzeln als “S” nachlegt und man über die unprofessionelle Vorgehensweise des Verlegers debattiert. Hallo? HAAAALLLO? Ist da jemand? Da draußen? Mit Hirn meine ich?!
Hauptsache mal ein Fachwort in die Runde geworfen. Ganz klar, Sunset-Klausel. Wichtig, wichtig. Kann sich noch jemand an den Inhalt des Romans erinnern (falls es überhaupt einen gibt)?
Völlig egal, denn schon geht es weiter.
Und an dieser Stelle konnte ich dann doch nicht mehr an mich halten und habe einen Kommentar geschrieben. Siehe da, auch „M“ ist wieder zu sich gekommen, aber sie traut sich noch nicht so ganz. Auch der “S” macht den Eindruck, es gut sein zu lassen. Vielleicht hat sie gemerkt, dass das Thema nicht wirklich passend ist. Dachte ich… Es wäre allerdings kein Troll, wenn…
TADA! Da kommt es, das große Finale! Applaus, Applaus, Applaus! Zufälle gibt es im Leben und Schicksale! Jetzt müssten es alle gemerkt haben. Oder?
Es findet sich halt immer einer. Das war der Schlusskommentar zu dem Thema.
Alter schützt bekanntlich vor Torheit nicht, aber Lebenserfahrung sollte einem eine gute Rüstung sein. Ob “S” tatsächlich hier ein bisschen getrollt oder einfach nur ihre Posts allesamt etwas unglücklich formuliert hat bzw. Aufmerksamkeit mit dem Thema erwecken wollte, diese Beurteilung überlasse ich jedem selbst. Wie schnell wir mittlerweile im Web und besonders in den sozialen Netzwerken agieren, uns weder Zeit zur genauen Betrachtung noch zum Nachdenken nehmen und uns zu dämlichen Kommentaren hinreißen lassen, das ist schon überaus erschreckend.
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