Beschnitten werden wir alle
Die Beschneidung ist wohl das Thema des Jahres, zumindest für einige Glaubensrichtungen. Ein Gesetzesentwurf sorgte für Furore, nachdem der deutsche Rechtsstaat die Unversehrtheit des Körpers vor die Ausübung einer Religion stellen möchte. Eigentlich eine sehr gute Sache, doch der Aufschrei ist groß.
Auch wenn dieses Gesetz durchaus löblich ist, streiten hier Menschen, um das Recht weiterhin einem anderen Menschen ein Stück Haut abschneiden zu dürfen. Ohne dessen Einverständnis wohlgemerkt. Denn letztendlich entscheiden die Eltern für das Kind. Wie sehe wohl die Diskussion aus, wenn sie ausschließlich Erwachsene führen würden, die aus freiem Willen die Entscheidung träfen, ein Stück Haut ihres Körpers entfernen zu lassen? Sie scheint unmöglich, denn man soll bereits in jungen Jahren dazu gehören. Was tun wir nicht alles, nur um irgendwo dazu gehören zu dürfen?
Beschnitten in der eigenen Meinung
Es geht gar nicht um ein religiöses Ritual oder eine Tradition, denn diese oder ähnliche Ritten finden sich in allen Kulturen und Religionen. Es geht um die Herangehensweise an dieses Gesetz. Denn diskutiert wird dieser Entwurf ausschließlich von Personen, über die bereits entschieden wurde. Auch sie waren in ihrer Meinung bereits beschnitten, denn auch sie hatten keine eigene Wahl. Wie aber möchte man über etwas entscheiden, was einem als Tradition und Religion vermittelt wurde? Scheint das Gegenteil nicht geradezu als ketzerisch? Welche Wahl haben also sogar Religionsführer und hohe Geistliche? Eine Zustimmung zu so einem Gesetz hieße den Bruch mit den eigenen Bräuchen, dem Glauben und damit mit fast allem für das man selbst einsteht. Stellt man einen Brauch in Frage, folgen die nächsten sehr schnell. Das Ergebnis wäre ein kontinuierlicher Verfall der Regeln und damit des Glaubens an sich. Können unter diesem Aspekt die Glaubensträger überhaupt zustimmen? Haben sie überhaupt eine Meinung oder ist ihnen diese durch den Glauben selbst bereits auferlegt worden?
Beschneiden Religion und Glauben eigentlich die Vernunft?
Wieso soll die eigene körperliche Verstümmelung ein Bekenntnis zum Glauben sein? Warum muss ausgerechnet das Entfernen eines Körperteils eine ausschlaggebende Handlung zur Stärkung des Glaubens sein? Diese Frage ist erlaubt. Kein Mann glaubt nur deswegen mehr oder wird ein besserer Gläubiger. Wann aber wird geprüft, ob man dazugehört? An den Toren der Gebetshäuser lässt man wohl kaum die Hosen runter, bevor man eintritt und man stelle sich das Bild an den Toren zum Paradies vor. Als ob man auch dort nur anhand des fehlenden Stücks Einlass bekäme. Eine belustigende Vorstellung. Braucht aber Gott ein Erkennungszeichen? Muss er tatsächlich seine eigene Schöpfung als Seins markieren? In seiner Allmächtigkeit wird er sehr wohl zu unterscheiden wissen, welcher zu ihm gehört und wer nicht.
Betrachtet man die Geschichte dieser rituellen Handlungen, muss man sich fragen dürfen, welchen Zweck sie in der damaligen Zeit hatten und ob dieser Zweck nach wie vor seine Gültigkeit haben kann. Wir neigen sehr gerne dazu, an Dingen festzuhalten, die wir kennen. Dies gilt nicht nur für Religionen, sondern für alle Bereiche unserer Kultur. Nicht selten hört man Sätze wie „Das hat man früher so gemacht und so macht man es auch heute.“ oder „Das ist jahrelange Tradition.“. Durch solche Aussagen werden Handlungen weder besser noch richtiger, allerdings auch nicht schlechter oder falsch. Wir allerdings werden aufgeklärter. Der Luxus der heutigen Zeit besteht darin, hinterfragen zu dürfen, um ändern zu können, wenn eine Notwendigkeit besteht.
Beschnitten in der Information
Wissen wir wirklich, warum dieser Gesetzesentwurf gemacht wurde? Erfahren wir tatsächlich, warum man an alten Bräuchen festhält und was der Hintergrund ist? Wir beschneiden uns selbst sehr gerne, weil wir gar keine Lust haben, uns tief genug mit den Themen auseinander zu setzen, die täglich an uns heran getragen werden. Kein Wunder, es sind unglaublich viele. Wir lesen, hören und sehen Artikel und Berichte zu Themen, die uns eigentlich wenig oder gar nicht betreffen. Wir werden mit Sachverhalten konfrontiert, die auf unser eigenes Leben überhaupt keinen Einfluss nehmen. Bei vielen Dingen reicht die einfache Berichterstattung aus. Doch manchmal lohnt es sich, etwas länger über eine Sache nachzudenken.
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